Hallux valgus

Die Großzehe auf Abwegen

Die schiefe Großzehe alias Hallux valgus sieht man häufig. Oft ist sie mit Schmerzen und Funktionsverlust der Großzehe verbunden. Was hat es damit genau auf sich und wird sie wirklich vererbt? Und – was kann man tun, um einen Hallux valgus zu reduzieren? All diese Fragen beantworte ich dir in diesem Artikel.

Hallux valgus – was genau bedeutet das?

„Hallux“ ist der lateinische/medizinische Name für die Großzehe an sich. „Valgus“ ist ebenfalls lateinisch und bezeichnet in der Medizin eine Richtung, in die ein Gelenk abweichen kann – im Fall von „valgus“ knickt die Gelenkachse „zur Mitte hin“ ab: es entsteht im Gelenk eine X-Form.

(Das Gegenteil von „valgus“ ist „varus“: hier weicht die Gelenkachse nach außen ab, es entsteht eher eine O-Form.)

„Hallux valgus“ ist damit der lateinische Fachbegriff für die „schiefe“ Großzehe, die in X-Haltung abweicht bzw. dort fixiert ist. Die Großzehe neigt sich also zur Mitte (des Fußes) und kuschelt sich an die Kleinzehen. 

Bei der Beurteilung wird in der Diagnostik der Winkel im Großzehengrundgelenk bestimmt und anhand diesem der Schweregrad ermittelt (weiterführende Links dazu findest du am Ende des Artikels). Unterschieden wird in einen milden, einen moderaten und einen schweren Hallux valgus.

Die Evolution der Großzehe

Um zu verstehen, warum die Großzehe so sehr dazu neigt, auf Abwege zu geraten, hilft ein Blick in die Evolutionsgeschichte des Menschen. 

Durch die Entwicklung vom vierbeinigen Affen zum zweibeinigen Menschen, musste sich der Fuß an die neuen Herausforderungen anpassen. 

Affen haben einen „Greiffuß“, der in seinem Aufbau und seiner Funktion der Hand sehr ähnlich ist. 

Mensch: Skelett Hand © Carlotta Ostmann
Gorilla: Skelett Fuß © Carlotta Ostmann
Mensch: Skelett Fuß © Carlotta Ostmann

Der menschliche Fuß ist eher ein „Stand- bzw. Gehfuß“. Die knöchernen Strukturen verformten sich, um der größeren Schwerkraft und der neuen Fortbewegungsart gewachsen zu sein. Der Körper entwickelte biomechanische Genialitäten wie z. B. unsere Fußgewölbe.

Die Großzehe übernimmt bei einem gesunden Bewegungsablauf (vor allem beim Gehen und Laufen) eine zentrale Rolle. Je ausgeprägter der Hallux valgus, desto weniger Last kann die Großzehe allerdings übernehmen. Das hat Folgen für unseren gesamten Körper. Die fehlende Stabilität unseres Fundaments (aka Fuß) muss über Muskeln und Gelenke ausgeglichen werden, die dazu eigentlich in der Form nicht gedacht sind – Folgeschäden in Fuß, Knie, Hüfte, Wirbelsäule etc. werden nach einiger Zeit nicht selten zu Begleitern eines Hallux valgus.

Große Bewegungsmöglichkeiten der Großzehe

Schauen wir uns die Großzehe anatomisch etwas genauer an, stellen wir fest, dass die Gelenke der Großzehe noch immer eine große Bewegungsfreiheit haben – Überbleibsel der „Daumenfunktion“. Schau dir deinen Daumen an: er kann große 3-D-Bewegungen vollziehen.

Ganz so beweglich ist unsere Großzehe nicht mehr, aber sie hat dennoch sowohl im Mittelfuß-Zehengelenk (lat. Metatarsophalangealgelenk oder kurz: MTP-Gelenk) als auch im Großzehengrundgelenk zusätzlich zu Beuge-, Streck- Abspreiz- und Heranziehfunktion auch noch Rotationsmöglichkeiten.

Gelenke der Großzehe
© Carlotta Ostmann
Bewegungsmöglichkeiten Großzehe 1
© Carlotta Ostmann
Bewegungsmöglichkeiten Großzehe 2 © Carlotta Ostmann

Das große Bewegungspotenzial kommt uns zugute. Immer, wenn wir auf unebenem Boden gehen oder laufen, wenn wir uns drehen, um die Ecke gehen etc. ermöglicht uns die Großzehe durch ihre Anpassungsfähigkeit, flott von der Stelle zu kommen. 

Die Schattenseite großer Beweglichkeit

Dort, wo Gelenke sehr beweglich sind, ist das Risiko für Fehlhaltungen allerdings auch besonders groß. Die Muskulatur wird hier umso wichtiger. Denn: wenn die Muskulatur die Gelenke nicht gut zu führen weiß, verlassen die Knochen ihre Führungsschiene und geraten auf Abwege.

Genau das passiert bei der Entwicklung eines Hallux valgus.

Einflussfaktoren bei der Entwicklung eines Hallux valgus

Ok, werden wir nun konkreter. Welche Faktoren können begünstigen, dass sich ein Hallux valgus entwickelt? Grundsätzlich spielen bei der Entstehung eines Hallux valgus meist mehrere Faktoren eine Rolle. Die folgende Liste gibt dir einen Überblick: 

  • Vorliegender (Knick-Senk-) Spreizfuß
  • Symmetrisch spitz zulaufende Schuhe, Absätze (s. Spreizfuß)
  • Erlernte Bewegungsmuster, die Abweichen der Großzehe fördern
  • Bindegewebsschwäche und Hypermobilität
  • Flache, harte Böden – wenig Abwechslung für unsere Füße
  • Schwache Fuß- und konkret Großzehenmuskulatur
  • Alter und Geschlecht (Frauen>Männer, ältere Menschen häufiger betroffen)

Wird der Hallux valgus vererbt?

Die Aussage, dass der Hallux valgus in der Familie vererbt wird, hält sich hartnäckig. 

Ja, es ist eine gewisse familiäre Häufung festzustellen. ABER: weniger das Erbgut an sich spielt hier eine Rolle als eher die erlernten (Bewegungs-)Muster, die Kinder mit der Zeit von Erwachsenen übernehmen. Menschen mit einem Hallux valgus gehen und bewegen sich anders als diejenigen ohne.

Wo allerdings die Gene tatsächlich eine Rolle spielen, ist bei der Beschaffenheit des Bindegewebes. Gelenkkapsel und Bänder sind z. B. bindegewebige Strukturen. Wenn eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche vorliegt, ist das Risiko instabiler Gelenke und damit der Hang zu Fehlhaltungen erhöht. 

Einen großen Anteil an der Entwicklung eines Hallux valgus hat außerdem unser modernes Schuhwerk. Symmetrisch und/oder spitz zulaufende Schuhe und Absätze spielen hier eine besondere Rolle. Sie „quetschen“ den Vorfuß in eine unnatürliche Form und provozieren das Abknicken des Großzehs zu den Kleinzehen hin. 

„Vererbt“ wird hier vor allem die Sozialisierung. Es gehört sich in unserer Gesellschaft, Schuhe zu tragen. Außerdem gibt es für bestimmte Anlässe auch bestimmte Schuhe, die „sich schicken“ – die wenigsten davon sind allerdings der natürlichen Form des Fußes nachempfunden.

Schuhform Vorfuß © Carlotta Ostmann
Schuhspitze symmetrisch oder asymmetrisch? Zwingt sie den Zeh zum Abknicken oder lässt sie ihm den Freiraum gerade zu sein? | © Carlotta Ostmann

Die biomechanische Herausforderung eines Hallux valgus

Jetzt geht es ans Eingemachte. Wenn die Großzehe abknickt und sich ein Hallux valgus bildet, passiert (bio-)mechanisch sehr viel im Fuß. 

Die veränderte Gelenkstellung verändert auch die Zugrichtung der Muskulatur. Je stärker der Knick ist, desto eher arbeitet die Muskulatur sogar kontraproduktiv und verstärkt den Knick weiter. Dennoch ist an sich nur die Muskulatur in der Lage, den Großzeh gerade zu positionieren – ein Teufelskreis.

Wie zu Beginn des Artikels schon erwähnt, ist die Großzehe sehr beweglich. Das hat hier zur Folge, dass auch die Fehlstellung mehrdimensional ist: 

Hallux valgus beschriftet © Carlotta Ostmann
Komplexe Veränderungen in den Großzehengelenken | © Carlotta Ostmann
Rotation der Knochen um die eigene Achse |
© Carlotta Ostmann

Durch die Drehung der Knochen verlagern sich die Sesambeine (kleine rundliche Knochen auf der Unterseite des Großzehengrundgelenks). Sie sind Ansatzstellen für Muskelsehnen – wodurch auch diese sich noch weiter verlagern.

Der Druck (im Schuh) am Großzehengrundgelenk führt zu schmerzhaften Druckstellen und Reizungen. Als Reaktion auf diesen Druck und die entzündlichen Prozesse, baut der Körper hier Knochen an – der „Hubbel“ bzw. die „Beule“ verstärkt sich und es kann zur Einsteifung des Gelenkes kommen. Ist es erst einmal so weit gekommen, kann die Großzehe nur noch operativ wieder geradegerichtet werden kann. 

Was kann ich gegen einen Hallux valgus tun?

Bei einem milden Hallux valgus stehen die Chancen, ihn konservativ (also ohne OP) zu reduzieren gut. Auch bei einem moderaten Hallux valgus kann der Winkel meist noch sicht- und spürbar reduziert werden. 

Soll die Therapie erfolgversprechend sein, sollte der Ansatz ähnlich komplex sein, wie der Hallux valgus selbst: 

  • Kontrolle des Schuhwerks und ggf. Anschaffung geeigneterer Schuhe mit optimierter Schuhspitze (orientiert an der natürlichen Form des Vorfußes)
  • Korrektur der Gelenkstellung mittels Tape (oder Orthesen/Schienen)
  • Aktivierung der korrigierenden Muskulatur/Ausgleich der muskulären Dysbalance
  • Einbeziehung und Reduktion begleitender Fehlhaltungen (besonders Knick-/Senk-/Spreizfuß aber auch Kleinzehendeformitäten)

Kann der Hallux valgus noch korrigiert werden?

Um grob einschätzen zu können, ob dein Großzeh noch das Potenzial zum „Geraderichten“ hat, kannst du dir mit diesem einfachen Test eine Orientierung verschaffen: 

Ziehe deinen Großzeh mithilfe deiner Finger „gerade“.

Je näher du der Geraden kommst, desto größer ist das Potenzial, den Zeh auch aktiv dort wieder einrichten zu können.

Konkrete Maßnahmen und Übungen, um einen Hallux valgus zu reduzieren, zeige ich dir in Bild und Ton im Online-LIVE-Workshop am 12. Juli 2025:

Themenschwerpunkt: Hallux valgus am 12. Juli 2025 um 10:00 Uhr (online via Zoom) – inkl. Aufzeichnung für 72h. Du bekommst nochmal live und in Farbe am Modell demonstriert, was im Großzeh passiert. Im praktischen Teil schauen wir uns dann gemeinsam an, welche konkreten Maßnahmen und Übungen helfen können, den Großzeh wieder in seine natürliche Position zu bringen. Hier bleibt es nicht theoretisch: wir nehmen im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam die Füße in die Hand und gehen jede Maßnahme und jede Übung Schritt für Schritt durch. Wenn du live dabei ist, wird im Anschluss noch ca. 30min Zeit für deine Fragen sein. Weitere Informationen und Anmeldung.


Weitere Angebote, mit denen du starten kannst:

Drei Basis-Übungen für gesündere Füße findest du für 0€ im 3-Schritte-Plan: Füße. Lade ihn dir direkt herunter und leg los. 

Oder schau mal im LIVE-Training: Füße (online) vorbei. In wöchentlich wechselnden Themenschwerpunkten trainieren wir dort gemeinsam 30min lang die Füße – für den Großzeh sind regelmäßig Übungen dabei. Du möchtest tiefer ins Thema einsteigen und deinen Fuß von Grund auf besser verstehen? Das und noch mehr bekommst du im FUSSFUTTER-Onlinekurs.


Quellen und weiterführende Informationen:

Artikel: Unsere Fußgewölbe

Artikel: Der Spreizfuß

https://flexikon.doccheck.com/de/Hallux-valgus-Winkel (abgerufen am 03. Juni 2025)

https://www.kniechirurg.eu/fachbereiche/sprunggelenk-fuss/fuss1/?cookie-state-change=1699898811718 (abgerufen am 03. Juni 2025)

Bowman, K. (2017). Gesunde Füße – step by step: Rücken-, Hüft- und Knieschmerzen vermeiden.

Hochschild, J. (2019). Strukturen und Funktionen begreifen – Funktionelle Anatomie: 2: LWS, Becken, Hüftgelenk, Untere Extremität.

Schünke, M. (2011). Prometheus – LernAtlas der Anatomie: allgemeine Anatomie und Bewegungssystem ; 182 Tabellen.

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